Text: Redaktionsteam Wildwuchs
Lesezeit: 4 Minuten
Studien zeigen, dass Klimakrise und Artensterben viele Jugendliche stark bedrücken. Wie muss es erst sein, wenn man täglich mit diesen Themen konfrontiert ist, weil man bei einem Naturschutzverband arbeitet. Wildwuchs sprach darüber mit LBV-Geschäftsführer Alf Pille.
WILDWUCHS: Alf, der Planet Erde erlebt gerade einen Wandel, den es in dieser Geschwindigkeit – nach allem was wir wissen – noch nicht gegeben hat. Die Durchschnittstemperatur steigt rasant und noch viel schneller galoppiert das Artensterben. Dazu kommen aktuell Kriege und andere Krisen. Viele von uns jungen Menschen frustet das. Du bist LBV-Geschäftsführer und seit Jahrzehnten im Naturschutz aktiv. Wie geht es dir in der aktuellen Situation?
ALF: Ganz ehrlich: Manchmal hab ich Angst. Obendrauf kommt leicht ein Gefühl von Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit. Denn was passieren muss, ist viel größer als was ein einzelner Mensch erreichen kann. Wenn ich alleine versuchen würde, an all dem wirklich was zu ändern, würde ich mich kaputtmachen.
WILDWUCHS: Wie gehst du damit um? Du musst dich ja jeden Morgen wieder damit auseinandersetzen, wenn du in die Arbeit gehst.
ALF: Gute Frage. Eigentlich sind es zwei Dinge, die mir helfen: Einerseits auf mich selbst zu achten und mich andererseits nicht so ernst zu nehmen.
WILDWUCHS: Das musst du erklären.
ALF [lacht]: Dachte ich mir schon. Also auf mich selbst achten, bedeutet für mich, dass ich einfach ein bisschen auf mein Gleichgewicht schaue: Naturschutz macht Spaß, aber da gibt’s noch genug andere Dinge, die mir Spaß machen: Sport, Musik, Kochen, Familie, Feiern. Und auch sowas wie einigermaßen ausgewogen zu essen und – zumindest im Schnitt – genug zu schlafen. Eigentlich merke ich immer relativ gut, was mein Körper und Geist gerade brauchen, und das versuche ich dann auch zu tun. Und das hat dann die gleiche Berechtigung wie das Weltretten, weil das eine geht nicht ohne das andere.
WILDWUCHS: Und was bedeutet, dich nicht so ernst zu nehmen?
ALF: Darf ich einen kurzen Exkurs in die Hirnforschung machen? Hängt mit dem Thema zusammen.
WILDWUCHS: Aber nur dann!
ALF: Versprochen. Also: Aktuelle Forschungen bspw. von Lisa Feldman Barrett zeigen, dass unser Gehirn vereinfacht gesagt die Hauptaufgabe hat, für ein körperlich-seelisches Gleichgewicht zu sorgen. Um das sicherzustellen, analysiert es aber nicht die ganze Zeit, was gerade um uns herum vorgeht, und reagiert dann. Das würde oft zu lange dauern. Stattdessen trifft es lieber Vorhersagen. Für diese Vorhersagen durchsucht es unsere Erfahrungen und greift sich raus, was passt. Bisschen genial, denn so verwendet es Gelerntes immer wieder und steuert uns damit vorausschauend und möglichst unfallfrei durch diese unglaublich komplexe Welt.
WILDWUCHS: Bisschen genial.
ALF: Und der beste Trick kommt noch: Um auf Nummer sicher zu gehen, sagt unser Gehirn immer eher das Schlimmste vorher, was passieren kann. Wenn das dann nicht eintritt, ist ja alles ok, aber falls doch, waren wir drauf vorbereitet.
WILDWUCHS: Nach dem Motto: Lieber einmal zu oft bremsen als gegen die Mauer krachen.
ALF: Genau. Unser Gehirn ist also eher nicht dafür gemacht, auf unsere komplexe Umwelt zu reagieren, stattdessen blendet es alles aus, was für seine Vorhersagen unwichtig erscheint. Oder nimmst du gerade wahr, wie du sitzt oder wie warm oder kalt es ist?
WILDWUCHS: Äh, bis eben nicht, jetzt ja.
ALF: Ja, und das ist auch logisch, denn das ist für unser Gespräch auch nicht relevant gewesen. Nun nimmst du es doch wahr, denn dein Gehirn stellt eine Verbindung her. Und meins auch.
WILDWUCHS: Du wolltest einen kurzen Exkurs machen.
ALF: Ich beeile mich: Wenn mir also eine Situation lustig vorkommt, dann nicht, weil sie per se lustig ist, sondern weil mein Gehirn etwas Lustiges erwartet hat und alles andere nicht wahrnimmt. Und wenn mir etwas Angst macht, dann weil das Gefühl „Angst“ aufgrund vorher gemachter Erfahrungen zu dieser Situation zu passen scheint und anderes nicht durchdringt. Und weil das Hirn immer das Schlimmste vorhersagt, kommen negative Gefühle wie Angst eben besonders oft auf.
WILDWUCHS: Und mit Hoffnungslosigkeit ist es das Gleiche?
ALF: Genau darauf wollte ich hinaus: Hoffnungslosigkeit ist keine Aussage darüber, ob die Situation wirklich hoffnungslos ist. Ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit zeigt mir einfach nur: Oh, ich nehme es gerade als hoffnungslos wahr.
WILDWUCHS: Und das nimmst du dann nicht so ernst?
ALF: Genau, ich merke zwar, dass ich mich hoffnungslos fühle. Das kann alle möglichen Gründe haben, vielleicht bin ich einfach müde oder habe Hunger. Das nehme ich dann schon ernst. Aber es ist eben niemals eine Aussage über die Wirklichkeit.
WILDWUCHS: Also sind Klimakrise und Artensterben gar nicht so schlimm?
ALF: Das habe ich nicht gesagt und ich finde beides furchtbar! Aber wenn ich mir klar mache, dass meine Angst und Hoffnungslosigkeit nichts über die Herausforderungen aussagen, sondern nur etwas über meinen Blick darauf, dann habe ich viel mehr Energie und frische Ideen, die Sachen anzupacken.
WILDWUCHS: Das ist ein bisschen abstrakt.
ALF: Dann zwei Beispiele: Zum Beispiel schließt sich das Ozonloch, weil die Staatengemeinschaft 1986 FCKWs verboten hat und dieses Verbot sehr effektiv überwacht. Oder Rosa Parks. Eine Schwarze, die sich 1955 in Montgomery, Alabama, einfach weigerte, nach einem langen Arbeitstag ihren Sitzplatz im Bus für einen Weißen zu räumen. Sie kannte die Gesetze, nach denen das damals eine Straftat war, aber sie wollte nicht stehen. Sie wurde verhaftet, doch sie knickte nicht ein, es gab große Proteste und letztlich wurde die sog. Rassentrennung abgeschafft. Kurz vorher erschien das noch völlig unmöglich. Wir Menschen haben schon oft Situationen gedreht, die vorher hoffnungslos erschienen.
WILDWUCHS: Und siehst du sowas auch bei unseren Themen hier?
ALF: Absolut, es finden ja schon unzählige kleine und gar nicht so kleine positive Veränderungen statt: weltweit steigt die Bildung, der Ausbau erneuerbarer Energien geht viel schneller voran als vorhergesagt und Strom daraus ist heute 40% billiger als fossil erzeugter, der Hunger ist stark gesunken, das Klimabewusstsein ist nachweislich Mainstream geworden, Gerichtsurteile gegen Staaten verpflichten zum Umweltschutz, es gibt immer mehr Schutzgebiete usw. Und auch wir als LBV und NAJU können direkt hier in Bayern Erfolge beisteuern: Wanderfalke gerettet, Luchs wieder heimisch geworden, jährlich über 100.000 Menschen in unseren Umweltstationen, Bartgeier ausgewildert, Volksbegehren „Rettet die Bienen“ gewonnen, neuer Rekord bei Weißstörchen etc. Da geht richtig was!
WILDWUCHS: Dann hast du also Hoffnung, während du manchmal hoffnungslos bist?
ALF: Ja, beides ist ok. Mir gibt der Blick auf all diese Entwicklungen den Mut, Klimakrise und Artensterben weiterhin zu bekämpfen und den Kopf nicht in den Sand zu stecken, sondern einfach weiterzumachen. Und dabei darf es mir auch gut gehen, obwohl eine Krise die nächste jagt. Denn ja, die Herausforderungen sind riesig. Und ja, es erscheint mir manchmal hoffnungslos. Aber das heißt nicht, dass es hoffnungslos ist und dass es mir deswegen schlecht gehen müsste.
WILDWUCHS: Vielen Dank für das Gespräch.
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