Text: Richard Fischer
Lesezeit: 4 Minuten
Vielfalt gibt es überall da, wo es Unterschiede gibt, das beginnt bei den 10 Fingern deiner Hände – jeder sieht anders aus. Wie bei der biologischen Vielfalt hat auch jeder deiner Finger eine eigene Aufgabe, alle zusammen haben eine enorme Kraft, beispielsweise um dich irgendwo festzuhalten.
Vor ein paar Tagen habe ich eine Folge von Checker Tobi gesehen: „Der Kletter-Check“. Da musste Tobi natürlich seine Hände einsetzen, aber er hatte auch eine spezielle Aufgabe zu lösen. Was das mit Vielfalt zu tun hat? Das ist mir auch erst später klar geworden!
Vielfalt, viel+falt. Wenn man etwas faltet, dann sind die einzelnen Teile eng beieinander, sie stehen in direktem Austausch. Bei der Vielfalt sind also viele „Dinge“ eng zusammen. Das können wir draußen in allen Lebensräumen erleben, zumindest in denen, die noch weitgehend intakt sind. Beim Blick in einen Wald gleicht kein Baum dem anderem, unter jedem sieht der Boden etwas anders aus, auf jedem Zentimeter leben unterschiedlichste Pflanzen, Tiere und Pilze, von den Wurzelspitzen tief im Erdreich bis oben in die höchsten Kronenbereiche.
Tauchen wir ab in einen Bach, geben die Steinchen am Boden die Struktur, jeder Stein ist einzigartig und bietet unterschiedliche Strömungsverhältnisse, Nährstoffe und Oberflächenstrukturen – an, auf, unter jedem und zwischendrin leben, wie im Wald, ganz spezielle Tiere und Pflanzen. Mit der Vielzahl an Lebewesen auf einem Quadratmeter Bach oder Wald, Fels oder Wiese könnte man jeweils ein ganzes Bestimmungsbuch füllen!
Ein Buch! Du hattest bestimmt schon mal ein Bestimmungsbuch in der Hand – hunderte Seiten, auf jeder beispielsweise eine oder mehrere Vogel-, Schmetterlings- oder Pflanzenarten. Viel gefaltet.
Die große Zahl von Arten einer bestimmten Gruppe oder eines bestimmten Lebensraums stellen wir meist in Bestimmungsbüchern dar, um sie besser vergleichen und unterscheiden zu können. So wird die Vielfalt in einem Buch gefaltet. Schnell kann es beim unvorsichtigen oder eiligem Blättern passieren, dass eine Seite reißt – die einzelne Seite ist empfindlich wie die einzelne Art, die auf ihr dargestellt ist. Aber gemeinsam sind die Arten aus unserem Buch (vielleicht ein Buch über die Wiese?) mega stark: so ein Buch mit etlichen hundert Seiten ist stabil und kraftvoll, du kannst es nicht zerreißen, du kannst dich draufstellen, wenn du es an den Kopf bekommst tut es weh. Genauso ist es auch bei der Wiese selbst: besteht sie nur aus ein oder zwei verschiedenen Gräsern, bietet sie nicht nur wenig Lebensraum für andere Lebewesen, sie ist schwach! Sie kann nur unter ganz bestimmten Bedingungen existieren, zu viel Regen, zu große Hitze oder irgendjemand dessen Leibspeise diese Gräser sind, führen zu großen Problemen und im Nu ist die Wiese „kaputt“.
Einer gesunden Wiese – oder besser: Weide – kann das so nicht passieren. Eine artenreiche Wiese besteht vielleicht aus 50 bis 100 unterschiedlichen Gräser- und Kräuterarten und wird von mehreren Hundert Insektenarten, Bodenlebewesen, Pilzen, Vögeln und so weiter bewohnt, diese Lebensgemeinschaft füllt nicht nur ein viel dickeres Buch, als die erste Wiese, sondern sie ist, genau wie das Buch auch viel stabiler und kann mit vielen Einwirkungen zurechtkommen.
Aber biologische Vielfalt ist nicht eingeschränkt, sie findet überall statt und arbeitet überall zusammen. Die Bücher von Wald und Wiese hängen zusammen, Moor und Bach, Berg und Meer, die Lebensgemeinschaften stehen alle miteinander im Austausch und das nicht nur im sichtbaren Bereich!
Das Leben beginnt im Verborgenen, bei unzähligen Bakterien, bei unscheinbaren Pilzen und jede Art hat ein ganz bestimmtes Zuhause, dieses nennen wir fachlich „ökologische Nische“. Vorstellen kannst du dir das wieder mit den Steinchen im Bach, manche Tiere brauchen größere Lücken, oder Nischen, zwischen den Steinen als andere, manche brauchen eine Nische im Bach mit wenig Strömung, und so weiter. Solche Nischen gibt es aber nicht nur als sichtbare Lücken oder Spalten. Auch unterschiedliche Nahrung, Feuchte oder Trockenheit, Sonnenlicht und Schatten oder Tag- und Nachtaktivität sind unterschiedliche Nischen.
Und hier kann unser Buch ganz schnell ganz dick werden: Stell dir ein klitzekleines Würmchen vor, das den Kot der Larve einer kleinen Wespe zersetzt, die ihre Eier parasitisch an Larven eines Käfers ablegt, der sich räuberisch von den Flöhen im Fell eines Wildpferds ernährt – klingt abstrus? Naja, diese Nahrungskette ist zwar frei erfunden, tatsächlich ist sie aber recht kurz und einfach, im Vergleich zu dem, was die Natur so bietet:
Da gibt es Parasitoide von Parasitoiden von Parasitoiden von Wildbienen, wo die Wildbiene selber hochspezialisiert ist und den Pollen einer einzigen seltenen Pflanzenart für die Ernährung ihrer Larven braucht. Solche seltenen Pflanzenarten brauchen in der Regel nicht nur artenreiche Wiesen, wo sie von Unmengen anderer Arten umgeben sind, sondern sie sind meist auch über sogenannte Mykorrhiza mit ganz bestimmten Pilzen Verbunden, um Wasser und Nährstoffe auszutauschen. Ihre Samen wiederum brauchen ganz bestimmte Tiere zur Ausbreitung, und dass sie in der Wiese überhaupt einen Platz zum Wachsen finden, müssen Pflanzenfresser diesen erst durch ihre Hufe freimachen…
Das könnte man jetzt noch ewig weiterführen, nicht nur weil diese Lebenskette noch nicht zu ende ist, sondern vor allem weil es wahnsinnig spannend ist, diese Zusammenhänge zu erforschen und zu verstehen.
In dem Moment, wo bewegte Lebewesen wie Tiere ins Spiel kommen, werden die unterschiedlichen Lebensräume vernetzt und unsere Bücher miteinander verbunden.
Und da kommen wir zurück zu Checker Tobi: Er musste in der Folge sein Kletterseil zerschneiden und die Enden dann ohne sie zu verknoten wieder so zusammenbringen, dass sein, also Tobis, Gewicht getragen werden kann. Die Lösung waren zwei Telefonbücher.
Wir sortieren also die Seiten unserer Bestimmungsbücher so, dass wir zusammenpassende Seiten ineinanderlegen können. Somit halten sich die Seiten gegenseitig fest – das Ganze wird mega-stabil!
Wie stabil und kraftvoll das Netzwerk der Vielfalt in der Natur ist, kann man sich nur schwer vorstellen. Wenn du schon mal gesehen hast wie viele Bücher bei einem Arzt herumstehen, wo es ja nur um unseren Körper geht, oder wenn du siehst wie viel es in einer großen Bibliothek über uns Menschen zu lesen gibt – so viele Bücher könnte man über jede einzelne Tier- und Pflanzenart schreiben, wenn man das alles über sie schon wüsste. Diese Menge an Büchern ist zusammengenommen natürlich unglaublich kraftvoll – weil es eben keine einzelnen losen Blätter sind, die leicht zerreißen, sondern weil hier wirklich viel gefaltet ist. Das ist die Kraft der Vielfalt.
P.S.: Das „h“ in Vielfalt haben wir leider schon verloren, denn der Teil der biologischen Vielfalt mit „h“ wurde in den meisten Gebieten unseres Planeten schon vollständig vernichtet oder zumindest drastisch reduziert. Die Rolle der biologischen Viehlfalt ist aber dann doch nochmal eine andere Geschichte…
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